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Fotocredits: Worldsportpics / Frank Uijlenbroek

Bundestrainer Xavier Reckinger und Sportdirektor Heino Knuf im Nach-WM-Interview

„Platz fünf bei einer WM ist besser als es sich für uns anfühlt!“

15. August 2018

15.08.2018 - Groß war die Enttäuschung bei allen Beteiligten – Mannschaft, Staff und auch Fans – als die deutschen Damen vor zehn Tagen mit Platz fünf von der WM in London zurückkehrten. Zu sehr hatte das Team in der Vorrunde auch gegen die Top-Teams überzeugt, so dass das 0:1 im Viertelfinale gegen den späteren Bronzemedaillisten Spanien sehr unbefriedigend war. Im Interview blicken Bundestrainer Xavier Reckinger und DHB-Sportdirektor Heino Knuf jetzt, mit ein wenig Abstand zum Turnier, zurück und liefern eine erste Analyse.

Wie fällt Ihr WM-Fazit jetzt, mit ein bisschen mehr zeitlichem Abstand zum Turnier aus?
Xavier Reckinger: Ich habe das Turnier noch nicht bis ins Detail analysiert, aber die Enttäuschung ist noch nicht weniger geworden. Die Frage ist immer noch, warum wir es nicht geschafft haben, im Viertelfinale besser zu spielen. Und ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Stimmung gut war und auch die Vorbereitung gestimmt hat. Taktisch hat auch alles gestimmt. Vielleicht hätten wir die Ecken anders schießen sollen. Aber das sind Kleinigkeiten. Natürlich weiß Nike Lorenz, dass ihre letzte Ecke aufs Tor kommen muss – das nimmt sie auch mit. Und wir hätten insgesamt etwas mehr Torgefahr erzeugen müssen. Aber wir haben im gesamten Turnier extrem gut verteidigt, haben eine hervorragende Gruppenphase gespielt. Darauf bin ich immer noch stolz. Und letztlich ist ein 5. Platz bei einer WM besser, als es sich für uns anfühlt. Mitnehmen müssen wir, dass die vermeintlich „kleinen Nationen“, wie Belgien oder Irland, sich stark entwickelt haben. Holland ist immer noch die klare Nummer eins, aber dahinter sind es zwischen Platz zwei und Belgien auf Rang 13 nur Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen.

Was ist aus sportfachlicher Beurteilung Ihr WM-Fazit?
Heino Knuf: Die Enttäuschung ist natürlich erstmal sehr groß. Die Mannschaft hätte aufgrund ihrer Leistungen in der Gruppenphase deutlich mehr erreichen können. Aber ich glaube genau das war nachher der entscheidende Punkt, warum die Mannschaft nach einer sehr guten Startphase im Viertelfinale nicht mehr ihr Leistungspotenzial abrufen konnte. Wir wollten zu viel, und das zeigt sich in vielen Spielsituationen, in denen wir uns immer wieder für die schwierige Lösung entschieden haben und somit zunehmend ungeduldiger wurden. Die nötige Gelassenheit aus der Gruppenphase war plötzlich nicht mehr da, und die braucht man vor allem beim Torabschluss und beim Umgang mit schwierigen Schiedsrichterentscheidungen. Die Mannschaft und der Staff haben einen sehr guten Job gemacht, konnten sich aber dadurch nicht entsprechend belohnen.

Das Team hat in der Vorbereitung oft noch nicht so gut performt wie in den Gruppenspielen. Waren die dortigen Leistungen deshalb auch für Sie überraschend gut?
Xavier Reckinger: Tatsächlich waren wir in den Vorbereitungsspielen nicht so gut wie in der Gruppenphase. Aber wir wollten uns in Schritten entwickeln – das ist also nicht überraschend. In München waren wir müder als die Gegner, die aber mit 19 Feldspielerinnen agiert haben, wir nur mit 17. Da hat uns Amelie Wortmann noch gefehlt, die eine wichtige Rolle in unserem Spiel hat. Aber auch da waren die Statistiken schon okay. Deswegen war ich nicht beunruhigt, sondern hatte das Vertrauen, dass wir eine gute Gruppenphase abliefern würden. Es hat letztlich alles gepasst.

Als Grund für die unbefriedigendere Leistung im Viertelfinale wurde im Nachhinein oft gesagt: Das Team hätte noch nicht genug Erfahrung, um mit dem Druck umgehen zu können, in solch ein Spiel als Favorit zu gehen. Kann das mit elf Olympiateilnehmerinnen wirklich sein?
Xavier Reckinger: Auch die Olympia-Teilnehmerinnen waren noch nicht oft Favoriten in KO-Spielen, sondern sind da in der Vergangenheit meist als Underdog reingegangen, mit der Einstellung, es irgendwie zu schaffen. Das ist etwas anderes. Zudem ist der Umgang mit KO-Spielen generell eigentlich zu selten erprobt. In der Bundesliga gibt es gar keine. Nur für die Endrundenteilnehmer sind es im Optimalfall zwei Spiele pro Saison. Dazu kommt, dass die Wertschätzung für die Spanierinnen auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu gering war. Gegen die haben die DANAS auch in Rio in der Gruppenphase 1:2 verloren. Die Mädels wussten das und haben sie sicher nicht unterschätzt. Und trotzdem waren wir bei der WM zurecht Favorit und sind damit nicht gut umgegangen. Das war bei der EM in Amsterdam vor einem Jahr bei der Halbfinal-Niederlage gegen Belgien ähnlich. Da müssen wir ansetzen. Und ein Punkt ist die Einstellung, ob ich einen Ball gegen eine Lidewij Welten bei Holland oder Maria Granato von den Las Leonas rausverteidige oder gegen eine Spanierin wie Maria Ruiz. Da merkt man Unterschiede bei den Mädels, die nicht sein sollten. Und da werden wir ansetzen.

Was würden Sie selbst anders machen beim nächsten wichtigen Play-off-Match?
Xavier Reckinger: Das habe ich mit tatsächlich jetzt schon ganz oft überlegt und weiß gar nicht, ob ich so viel anders machen sollte. Wichtig ist sicherlich, diese Erfahrung aus der Niederlage gegen Spanien mit einzubauen. Das zu highlighten und die Mädels daran zu erinnern, wie sie sich gefühlt haben. Das wird uns ganz sicher noch helfen, für das nächste wichtige KO-Spiel den Fokus zu finden. Wenn wir die erkannten Fehler dann nicht machen und es trotzdem nicht reicht, ist es in Ordnung – dann muss man das akzeptieren. Ich bin mir sicher, dass uns das Gefühl nach dem verlorenen Match nochmal helfen wird!

Mit welchen Vorgaben wird der DHB das Team in die nächsten Aufgaben - Pro League, Olympia-Qualifikation, Olympische Spiele - schicken?
Heino Knuf: Der Hauptfokus liegt auf Tokio 2020. Das Ziel ist, dort so gut wie möglich abzuschneiden - wenn möglich mit einer Medaille. Alles wird darauf ausgerichtet. In 2019 müssen wir uns dafür qualifizieren. Dies können wir direkt über den Gewinn der EM 2019 oder über zwei Qualifikationsspiele gegen einen noch zu ermittelnden Gegner im Herbst 2019 erreichen. Die Pro League gibt uns hier die Möglichkeit, uns gegen die Top-Teams unter Wettkampfbedingungen entsprechend vorzubereiten.

Sie haben mehr gemeinsame Trainingseinheiten gefordert. Ist das denn überhaupt machbar mit Bundesliga und Pro League in Zukunft?
Xavier Reckinger: Ich stelle nur fest, dass man besser wird, je häufiger man mit den Besten seines Landes zusammen trainiert. Das ist auch keine Raketen-Wissenschaft, sondern Fakt. Zudem ist ersichtlich, dass alle, die es so machen – nehmen wir Irland, Spanien oder Belgien – besser werden. Die haben sich in den letzten fünf Jahren stetig weiterentwickelt. Unsere GPS-Datenanalyse hat zudem ergeben, dass die Intensität eines Bundesligaspiels nicht ansatzweise an die Intensität eines internationalen Spiels vergleichbar ist. Wir verbringen im Moment zum Anfang unserer Turniervorbereitungen zu viel Zeit mit Basic Skills, wie Rückhandstopp im vollen Lauf, kontrollierte Annahme schlechter Pässe und so weiter, weil das wichtig ist. Das sollte aber besser Grundlage sein, die die Mädels schon mitbringen. Insofern müssen wir überlegen, wie wir häufiger zusammen trainieren können. Ich werde regelmäßig zweimal im Monat nach Mannheim, Hamburg und in den Westen fahren und dort mit den Kadermitgliedern fest trainieren. Dazu kommt das intensive individuelle Programm mit den Olympiastützpunkten. Ziel muss sein, dass wir in der Pro League Erfolg haben und uns sicherer für Olympia und Weltmeisterschaften qualifizieren – nicht wie vor Rio erst im Penalty-Shootout. Das ist zu knapp. Am Ende profitiert auch die Bundesliga davon. Das sollte für beide – Bundesliga und Nationalmannschaft, ein Win-Win sein.“

Wenn Xavier Reckinger mehr gemeinsame Trainingseinheiten fordert, wie kann der Verband das realisieren?
Heino Knuf: Auf der Basis der WM-Analyse werden wir schauen, was notwendig ist um die Performance zu steigern. Sollte dabei herauskommen, dass mehr gemeinsame Zeit notwendig ist, werden wir hier sicherlich Lösungen finden. Auf jeden Fall werden wir die Nationalspielerinnen und Nationalspieler an unseren Hauptstandorten, den sogenannten Bundesstützpunkten, in Zukunft noch intensiver und individueller betreuen können. Im Zuge der DOSB-Leistungssportreform werden wir dort mehr hauptamtliches Trainerpersonal haben, um so zusätzlich zu dem Vereinstraining Training anbieten zu können. So werden die Spielerinnen und Spieler mit einem höheren Ausgangsniveau zu unseren zentralen Maßnahmen und zu den internationalen Turnieren anreisen.

Medien haben spekuliert, die Damen hätten ins WM-Halbfinale kommen müssen, um in der Eliteförderung der Deutschen Sporthilfe zu bleiben. Stimmt das?
Heino Knuf: Das ist so nicht ganz richtig. In die Eliteförderung kommt man auf Grundlage eines Medaillenerfolges UND einer Medaillenperspektive. Das eine haben die DANAS in Rio geliefert und die Perspektive ist in unseren Augen mit den gezeigten Leistungen bei der WM und mit Platz fünf auf jeden Fall gegeben. Hier werden wir jetzt in Gesprächen die Deutschen Sporthilfe davon überzeugen.

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