Interview DOSB x Nike Rühr

FREIWILLIGENDIENSTE WERDEN LEIDER NOCH IMMER UNTERSCHÄTZT

20. February 2025

Die langjährige Hockey-Nationalspielerin Nike Rühr schildert ihre Erfahrungen als „Bufdi“ und erläutert, wie das Thema flächendeckend eine höhere Bedeutung bekommen könnte.

Der DOSB hat zehn Forderungen an die neue Bundesregierung aufgestellt – und wir untermauern diese in den Wochen des Bundestagswahlkampfs und der anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der Unterstützung von Testimonials aus dem Leistungssport, um anhand von Beispielen aus der Praxis deutlich zu machen, was diese Forderungen dem organisierten Sport bedeuten. Der Link zu allen zehn Forderungen findet sich am Textende. In Folge 5 geht es um Weiterentwicklung und Wertschätzung.   

Ein klares Bekenntnis für die Stärkung und nachhaltige Finanzierung der Freiwilligendienste abgeben – so steht es in den zehn Forderungen, die der DOSB an die Bundespolitik gestellt hat. Wer ein solches Bekenntnis wünscht, sollte Nike Rühr kontaktieren. Als Führungsspielerin in der deutschen Hockey-Nationalmannschaft hat die 27-Jährige, die vor ihrer Hochzeit mit Hockey-Nationalstürmer Christopher Rühr im vergangenen Jahr den Nachnamen Lorenz trug, bis zu ihrem Rücktritt nach den Olympischen Spielen 2024 in Paris regelmäßig soziale Themen auf die Agenda gebracht. Die Initiative, als Kompensation für die vielen Flugreisen einen Hockeywald zu pflanzen, geht ebenso auf ihr Engagement zurück wie das erstmalige Tragen der Regenbogen-Kapitänsbinde bei Olympischen Spielen. 

Beim Thema Freiwilligendienst, der den Bundesfreiwilligendienst (BFD) ebenso einschließt wie das Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr (FSJ/FÖJ), ist Nike, die in der Bundesliga weiterhin für Rot-Weiß Köln aufläuft, aber aus einem weiteren Grund die perfekte Absenderin. Als sie nach dem Abitur 2015 aus Wiesbaden zum Mannheimer HC gewechselt war, suchte sie eine Möglichkeit, sich optimal auf die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro vorzubereiten – und fand diese im BFD, den sie in ihrem neuen Verein absolvieren konnte. „Ich wollte keine Leerstelle in meinem Lebenslauf, sondern eine sinnvolle Beschäftigung, die mir trotzdem die Konzentration auf den Sport lassen sollte. Dafür war der BFD perfekt. Das damalige Jahr war eine der ganz wenigen Phasen in meinem Leben, in denen ich mich nicht zwischen den Stühlen gefühlt habe, weil Sport ganz klar erste Priorität war“, erinnert sie sich. 

Die Initiative zur Umsetzung kam damals vom Verein, der Nike im Jugendtraining einsetzte, aber über Kooperationen mit Bildungsträgern auch als Übungsleiterin für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen und an Schulen mit sonderpädagogischem Bedarf aushelfen ließ. „Alles war aufeinander abgestimmt. Mein Sportlerinnen-Dasein stand an erster Stelle, ich wurde finanziell gut unterstützt und habe viel gelernt. Außerdem konnte ich auch die Reha, die ich wegen einer langwierigen Verletzung machen musste, problemlos in den Alltag integrieren. Für mich war das eine sehr komfortable Situation, und auch für den Verein war es eine gute Möglichkeit, mir eine Perspektive aufzuzeigen“, sagt sie. 

Eine klassische Win-win-Situation also, von der allerdings aus Nikes Sicht noch immer viel zu wenige Vereine und Sportler*innen profitieren. „Die Dienste werden leider zu selten so genutzt, wie es möglich wäre. Sie werden in weiten Teilen unterschätzt, obwohl sie wie eine Berufsausbildung gestaltet werden können. Natürlich ist eine Dienstzeit von bis zu 18 Monaten nur eine Zwischenstation, trotzdem finde ich es unverständlich, wie wenige diese Chance nutzen und stattdessen lieber unbezahlte Praktika oder irgendwelche Gelegenheitsjobs machen“, sagt sie. 

Die Forderungen nach der Einführung eines rechtlich gesicherten Anspruchs auf einen bedarfsgerecht ausgestatteten und nachhaltig finanzierten Freiwilligendienst für alle jungen Menschen inklusive der Bereitstellung eines existenzsichernden Freiwilligengeldes unterstützt Nike Rühr vollumfänglich. „Für mich hat es damals finanziell gepasst, weil ich zusätzlich zur BFD-Vergütung noch vom MHC als Spielerin entlohnt und von der Sporthilfe gefördert wurde. Allein vom BFD hätte ich nicht leben können, und das ist natürlich ein Thema, das angegangen werden muss, wenn Menschen 40 Wochenstunden im Einsatz sind“, sagt sie. Dazu komme, dass Vereine über Förderprogramme befähigt werden müssten, den Bedarf an Stellen auch decken zu können, was oft an fehlenden Finanzmitteln scheitert. Zwar muss jeder einzelne Einsatzplatz beantragt und anerkannt werden, theoretisch gibt es aber keine Obergrenze für FSJ/BFD-Stellen in Vereinen oder Verbänden. 

Die Politik ist in der Pflicht

Als mindestens ebenso entscheidend bewertet Nike Rühr allerdings den Aufbau einer flächendeckenden, individuellen und schriftlichen Beratung für alle jungen Menschen, die sich für das Thema Freiwilligendienst interessieren. „Mein Eindruck ist, dass in der Fläche viel zu wenig für die Dienste geworben wird. Das liegt sicherlich auch daran, dass viele, vor allem kleinere Vereine die Kapazitäten dafür nicht haben. Aber dadurch werden Potenziale verschenkt, und hier sehe ich die Politik in der Pflicht, die Beratung zu optimieren, damit das nicht mehr passiert.“ Dabei gehe es um Beratung von Vereinen ebenso wie von jungen Menschen, da häufig missverstanden werde, wie sich die Angebote mit den Ansprüchen und Fähigkeiten der Dienstleistenden übereinbringen ließen. „Viele denken immer noch, dass man als Freiwilliger im Sport Trainertätigkeiten übernehmen muss. Aber das Spektrum ist viel weiter gefasst“, sagt sie. 

Aus ihrer beruflichen Praxis – seit dem 15. Januar arbeitet sie als selbstständige Beraterin für Nachhaltigkeit beim Kölner Unternehmen Evolutiq – kann sie ein Beispiel anführen. „Wer ein FÖJ machen will, kann in einem Verein das Thema Nachhaltigkeit übernehmen, das auf alle Player im Sport unweigerlich zukommt, und sich darüber in eine Materie einarbeiten, die für das künftige Berufsleben eine große Bedeutung haben kann.“ Mit ihrem Ehemann hat sie ein eigenes Unternehmen für bundesweite Hockeycamps gegründet und möchte dort das Thema Freiwilligendienst „immer mitdenken, denn ich weiß, dass das in allen Bereichen ein absoluter Gewinn sein kann.“ Bleibt also nur zu hoffen, dass diese Einstellung auch mit Unterstützung der nächsten Bundesregierung Schule macht. 

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