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Fotocredits: Worldsportpics / Frank Uijlenbroek

Porträt: Bundestrainer Herren André Henning

„Am Ende entscheiden die Spieler zu 100 Prozent direkt über das Spiel.”

10. April 2024

André Henning – Bundestrainer der deutschen Hockey-Nationalmannschaft der Herren. Er ist der jüngste Cheftrainer einer Hockey-Bundesliga Mannschaft aller Zeiten. Der 39-Jährige führte sein Team Anfang 2023 in Indien zum Weltmeistertitel - und das bei seinem ersten großen Turnier als Bundestrainer des A-Kaders. Bei den EuroHockey Championships 2023 im eigenen Land belegte Henning mit seinem Team den vierten Platz. 2024 stehen die Olympischen Spiele in Paris an, bei denen der Erfolgscoach aus Velbert im Bergischen Land an seine vorherigen Erfolge anknüpfen will. Wir haben mit André Henning über seine bisherigen Karriere und seinen Coaching-Stil gesprochen.

Auf dem Hockeyplatz aufgewachsen
„Meine Mutter erzählt jedenfalls, dass ich schon ein paar Wochen nach meiner Geburt in der Hockeyhalle lag und aus dem Geräteraum zugeschaut habe”, beginnt André Hennig seine Antwort auf die Frage, wie er zum Hockey gekommen ist. Hennigs Mutter Petra spielte selbst Hockey, sein Vater Jürgen war Trainer beim HC Velbert, dem Verein, in dem der Weltmeistertrainer aufwuchs. Auch Hennings Bruder spielte beim HC Velbert. Mit anderen Worten: André Henning kommt aus einer waschechten Hockeyfamilie, in der er zeitweise sogar offiziell von seinen Eltern beim Velberter Hockey-Club trainiert wurde, was für alle eine Herausforderung gewesen sei, erzählt der 39-Jährige mit einem Schmunzeln.

Kreuzbandriss und frühe Trainerstationen
Als B-Knabe entschied sich André Henning für den leistungsorientierten Hockeyweg und wechselte zum großen Uhlenhorst Mülheim. Dort nahm er an Deutschen Jugendmeisterschaften teil und schaffte den Sprung in die erste Herrenmannschaft des HTC Uhlenhorst, mit der er in der ersten Bundesliga spielte. Hennings Hockeykarriere endete nach wenigen Bundesligaspielen, da er sich mit 18 Jahren das Kreuzband riss. Parallel zu seiner eigenen Spielerkarriere entdeckte er früh seine Leidenschaft für das Trainieren von Mannschaften. Mit 14 begann er die ersten Kinder- und Jugendmannschaften seines Heimatvereins HC Velbert zu coachen. Für Henning begann mit seiner Verletzung die vollständige Fokussierung auf den Trainerjob: „Natürlich war die Verletzung nicht schön. Aber ich habe in dem Trainerjob etwas gesehen, das mich mehr reizt, und deshalb habe ich nicht wirklich darunter gelitten, dass ich als Spieler kein richtiges Comeback gefeiert habe”, erzählt der Velberter. 

Fotocredits: Worldsportpics / Frank Uijlenbroek

Der jüngste Bundesligatrainer aller Zeiten
Mit gerade einmal 19 Jahren übernahm André Henning seine erste Herrenmannschaft, die in der Oberliga spielte, als Cheftrainer: „In der Truppe von ETB Schwarz-Weiß Essen waren locker zwei, drei Spieler, die meine Väter hätten sein können. Das war wirklich eine unglaublich tolle Mannschaft, zu der ich teilweise heute noch Kontakt habe”, erzählt André Henning über seinen Beginn als Herrencoach. Nach drei Jahren wechselte er vom Oberligisten zurück zum Uhlenhorst Mülheim, wo er mit 22 Jahren das Amt des Co-Trainers der ersten Herren des HTCU übernahm. Neben dieser Trainertätigkeit studierte Henning Jura, stand nach einem halben Jahr als Co-Trainer aber vor einer großen Entscheidung. Der Cheftrainerposten bei Uhlenhorst Mülheim war vakant geworden und Spieler, wie Jan-Philipp Rabente und Thilo Stralkowski, die er bereits in der Jugend trainiert hatte, ermutigen ihn den Posten zu übernehmen. Am Ende ließ sich der junge André Henning überreden und sagte den Mülheimer Herren für vorerst ein Jahr als Cheftrainer zu. 

„Aus einem Jahr wurden dann sieben, und irgendwann habe ich die Zeichen der Zeit erkannt und mein Jurastudium abgebrochen. Es ist mir als Cheftrainer meist sehr leicht gemacht worden, obwohl ich noch so jung war, weil sowohl in Essen als auch in Mülheim die entscheidenden Spieler, die es in jeder Mannschaft gibt und die den Ton angeben, immer hinter mir standen und mir den Rücken gestärkt haben."

André Henning

Lehrjahre eines Bundestrainers
Sieben Jahre lang, von 2007 bis 2014, war André Henning Cheftrainer von Uhlenhorst Mülheim, wurde dreimal Vizemeister, nahm an der EHL teil. 2014 gelang der Deutsche Hallenmeistertitel, bevor es ihn nach Hamburg zum Club an der Alster zog. In seinen ersten sieben Jahren als Cheftrainer lernte er über das Coachen, seine Mannschaften und sich: „Natürlich hatte ich eine gewisse Erfahrung nicht, die einem Trainer gut tut. Mir fehlte, wenn man so will, Weisheit und Ruhe. Ich war sehr verbissen und wollte vieles sehr schnell. Außerdem hatte ich erst später Leute an meiner Seite, die mir genau das geben konnten und letztendlich mussten wir alle gemeinsam unsere Erfahrungen machen. Grundsätzlich war die Unterstützung trotz einer hohen Erwartungshaltung aber immer da, weil die Leute gesehen haben, dass der Junge sich reinhängt und etwas auf dem Kasten hat ”, so Henning. Nach einem Jahr beim Club an der Alster wechselte André Henning im Jahr 2015 zu Rot-Weiss Köln, wo er in fünf Jahren vier deutsche Meisterschaften (2x Halle, 2x Feld), einen EHL-Titel und einen Hallen-Europapokal gewann.

Früh auch für den Deutschen Hockey-Bund tätig
Parallel zu seinen Tätigkeiten als Vereinstrainer begann Henning ab 2012 verschiedene Tätigkeiten für den Deutschen Hockey-Bund. Zum Start als Verbandstrainer war er Co-Trainer an der Seite von Jamilon Mülders für die männliche U21: „Nachdem ich als Vereinstrainer ständig gegen irgendwelche Dinge des DHB gewettert habe, kam Jamilon auf mich zu und sagte – ‘ja dann mach doch mit‘. So bin ich zum DHB gekommen und habe dann parallel zur U21 als Cheftrainer die U18 trainiert”, berichtet André Henning. Bereits 2013 wurde André Henning alleiniger U21-Bundestrainer männlich und holte im selben Jahr in Indien den Junioren-Weltmeistertitel. Ein Erfolg, der sich 10 Jahre später mit vielen Spielern aus dieser Junioren-Mannschaft bei den Herren wiederholen sollte. 2015 wurde er mit der U18 männlich 2015 Europameister. 

Ein Ausflug zu den Danas bei den Olympischen Spiele 2016
(Von 2014 bis) 2016 unterstützte Henning erneut Jamilon Mülders. Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro war er Co-Trainer der Damen, die ihm als ganz besonderes Team in Erinnerung geblieben sind: „Die DANAS von Rio waren mit Sicherheit eines der kommunikationsstärksten Teams, die ich je trainiert habe. Die Mannschaft war maximal direkt, ehrlich und konfrontativ. Das war auf vielen Ebenen, was die Kultur angeht, wie man aufeinander geachtet hat und was am Ende sportlich mit der Bronzemedaille herausgekommen ist, einfach fantastisch”, schwärmt André Henning. 

Fotocredits: Worldsportpics / Frank Uijlenbroek

Ein kooperativer Führungsstil als Weg zum Erfolg
Nach den Olympischen Spielen in Rio konzentrierte sich André Henning ganz auf seinen Verein Rot-Weiss Köln, wo er neben seiner Tätigkeit als Cheftrainer auch Sportlicher Leiter war. Im Anschluss an die Olympischen Spiele 2021 in Tokio übernahm er zum Jahresstart 2022 das Amt des Bundestrainers von Kais al Saadi und war ab sofort Bundestrainer der deutschen Herren-Nationalmannschaft. Bei seinem ersten großen Turnier im Januar 2023 gewann André Henning mit seinen HONAMAS die Weltmeisterschaft in Indien. Sein Coaching schien sofort Früchte zu tragen – doch was macht sein Coaching eigentlich aus? 

Keine schlechte Laune mehr bis Mittwoch 
Es spielen natürlich viele kleine und große Dinge eine Rolle, aber zwei Themen hebt André Henning im Gespräch besonders hervor: „Am Anfang meiner Trainerkarriere war es schon so, dass wenn wir am Wochenende verloren haben, bis Mittwoch schlechte Laune bei mir angesagt war. In meinem Kopf ging die Niederlage dann zu 95 Prozent auf meine Kappe. Ich habe immer alles in Frage gestellt. Meine Antwort war lange Zeit, mehr zu tun und wenn möglich noch eine Videobesprechung oder Ähnliches zu machen”, so der Bundestrainer. Doch mit der Zeit merkte er, dass viel nicht immer viel hilft, und stellte sich und seinen damaligen Traineransatz auch selbst in Frage. Insbesondere beschäftigte ihn die Frage, was ein Team im Mannschaftsprozess braucht und wie Wissensvermittlung mit erwachsenen jungen Menschen auf sportlicher Ebene überhaupt funktioniert: 

„Wie lernen meine Spieler eigentlich die Dinge, die ich ihnen beibringen will, und wie nehme ich sie mit an Bord? Wie erhöhe ich die Partizipationsprozesse, so dass die Spieler mehr Verantwortung übernehmen? Denn am Ende entscheiden die Spieler zu 100 Prozent direkt über das Spiel. Ich berühre keinen Ball und schieße kein Tor. Ich bin nur indirekt beteiligt”, sagt der 39-Jährige.

"Am Ende entscheiden die Spieler zu 100 Prozent direkt über das Spiel. Ich berühre keinen Ball und schieße kein Tor. Ich bin nur indirekt beteiligt.”

André Henning

Partizipation und mehr Verantwortung als Schlüssel der Teamführung
Henning ist in den letzten Jahren zu einer kooperativen Führung übergegangen, was ein sehr wichtiger Baustein für den Erfolg bei der WM sei. Im Herren-Team werden die Spieler immer wieder über verschiedene Gruppen- und Partizipationsprozesse an spielrelevanten Entscheidungen beteiligt, so dass ein System entsteht, bei dem auf dem Platz Mechanismen, Taktiken, Spielzüge und Positionsspiel angewendet werden, die im Team gemeinsam gewachsen sind. Eine große Rolle spielt zudem das komplette Trainerteam der Honamas, in dem Spezialisten unter der Führung von Henning das Spiel des Teams weiterentwickeln.

Der Erfolgsfaktor Druck abprallen zu lassen
Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels verbanden viele Hockeyfans große Hoffnungen mit dem Herrenteam mit Blick auf die Europameisterschaft in Mönchengladbach. Diese Erwartungshaltung von außen ließ der Bundestrainer vor der EM nicht an sich herankommen: „Das merke ich jetzt auch wieder, das habe ich schon vor der WM gemerkt. Eine vermeintliche Erwartungshaltung von außen, kommt wirklich überhaupt nicht an mich ran. Das interessiert mich nicht, das lese ich nicht. Ich kann einschätzen, was realistisch ist und daraus für mich und mein Team Handlungsziele ableiten. Das ist alles”, sagte der Weltmeistertrainer mit Blick auf die Heim-EM.

Die Erfahrungen, die André Henning aus mittlerweile 25 Jahren als Trainer bereits gesammelt hat, übertrifft sicherlich die mancher Trainer, die ihre Karriere bereits beendet haben. Hockey-Deutschland kann sich bei den Olympischen Spielen 2024 auf eine deutsche Herren-Nationalmannschaft freuen, die einen fokussierten Trainer an der Seitenlinie hat.

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