Weiter geht’s mit Julia Sonntag – Weltmeisterin, Vizeeuropameisterin und Zahnärztin aus Mönchengladbach.
Hockeyfieber mit Julia Sonntag
24. July 2023
„In Deutschland ist Hockey nämlich weder bei den Männern noch bei den Frauen ein Profisport!“ Mit sieben Jahren packte Sie das erste Mal den Krumschläger beim Gladbacher HTC an. Hier spielte sie über 10 Jahre. Heute hütet Sie das deutsche Tor der Hockey-Nationalmannschaft und hält mit ihrer lautstarken Stimme die Mannschaft auf dem Spielfeld zusammen. 2018 wurde Sie sogar zur Kölns Sportlerin des Jahres ernannt. Julia Sonntag spricht mit uns im Interview über Frauen im Hockeysport, welche Unterschiede es gibt und wie groß die Karrierechancen bei dieser Sportart sind.
Hallo Frau Sonntag, wie haben Sie Ihre Liebe zum Hockey entdeckt? Wollten Sie schon immer Hockey-Nationalspielerin werden?
Ich bin durch meinen älteren Bruder zum Hockeysport gekommen. Er ist durch einige seiner Klassenkameraden darauf aufmerksam geworden und dann hat es nicht lange gedauert, dass ich ihm nacheifern wollte. Ich habe dann im Alter von 7 Jahren angefangen. Ich kann nicht behaupten, dass ich in dieser Zeit schon vom deutschen Tor geträumt habe. Viel mehr haben mich die anderen Kinder, die Kaninchen, die ab und zu über den Platz rannten, und das Schwimmbad im Verein interessiert. Auch die Position im Tor hat sich erst einige Zeit später herauskristallisiert. Der eigentliche Leistungsgedanke entstand dann als ich ungefähr 14 Jahre alt war. Ab der Zeit gab es nämlich vereinsübergreifende Auswahlmannschaften bis hin zu Jugendnationalmannschaften. Die Freundschaften, die sich in allen Vereinen und Mannschaften bei mir entwickelt haben, bestehen teilweise heute noch.
Aus Ihren Erfahrungen als Hockeytorhüterin – worauf kommt es beim Hockey an?
Hockey ist ein unglaublich schneller und taktisch geprägter Sport. Spielsysteme werden ständig weiterentwickelt und über etliche Videoanalysen bis zur Perfektion getrimmt. Man muss also sowohl physisch als auch psychisch voll auf der Höhe sein. Die modernen Spielsysteme funktionieren nur im Verbund aller Mitspieler. Der talentierteste Einzelspieler wird es niemals an die Spitze schaffen, wenn er es nicht schafft, sich der gemeinsamen Spielidee unterzuordnen.
Sie spielen ja in der Frauennationalmannschaft. Welche Unterschiede gibt es in der Hockeywelt zwischen Männern und Frauen?
Rein sportlich gesehen verhält es sich wie bei den meisten Ball-Teamsportarten. Männerhockey ist noch etwas schneller, was den Ball und die Spieler angeht. Die taktischen Ansätze sind aber die Gleichen. Betrachtet man die Bedingungen für Männer und Frauen stellt sich besonders im Vergleich zum Fußball ein großer Unterschied da: In Deutschland ist Hockey nämlich weder bei den Männern noch bei den Frauen ein Profisport. Wir haben also alle mit den gleichen Problemen zu kämpfen, wenn es darum geht den Leistungssport mit dem Beruf bzw. dem Studium zu vereinbaren.
Welchen Herausforderungen müssen sich Frauen im Hockey-Business stellen? Muss man sich als Frau in dieser Sportart mehr unter Beweis stellen?
Tatsächlich muss man das nicht. Anders als beim Fußball wird Hockey seit jeher auch im gleichen Umfang von Frauen gespielt. Die Liste der Titel ist zwar kürzer als die der Hockeymänner, aber sehr ansehnlich. Unser Training in den Vereinen und der Nationalmannschaft wird gleichermaßen professionell betrieben. Hockey ist noch immer eine Randsportart. Diejenigen, die unsere Bundesligaspiele regelmäßig verfolgen sind Hockeyliebhaber, Freunde und Familie. Da werden keine Vergleiche zu den Männern angestellt. Wenn Hockey bei olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften der breiten Masse im Fernsehen präsentiert wird, fehlt dem Zuschauer in der Regel der detaillierte Sachverstand für eine tatsächliche Bewertung. Da wird einfach mitgefiebert und auf einen Sieg gehofft.
Wie sind die Karrierechancen für Frauen und Mädchen beim Hockey?
Der Begriff „Karriere“ ist beim Hockey grundsätzlich anders zu definieren. Eine erfolgreiche Hockeykarriere endet in sportlichen Erfolgen und Titeln, aber niemals im großen Geld. Ansporn sind also Leidenschaft und Ehrgeiz. Die Grundlage dafür liegt meiner Meinung nach darin, relativ früh anzufangen. Wer als Kind mit dem Hockeyschläger in der Hand laufen lernt, hat schon mal nichts falsch gemacht. Auf dem Weg zum sportlichen Erfolg ist es mit zunehmendem Alter entscheidend, dem ein oder anderen Reiz von außen widerstehen zu können und nie den Spaß am Sport zu verlieren. Ich habe viele ehemalige extrem talentierte Mitspielerinnen, die irgendwann mehr den Fokus auf Freunde, Partys und Urlaub gelegt haben. Das reicht unter Umständen noch aus, um eine gute Spielerin zu sein – bis an die Weltspitze kommt man damit aber nicht. Die Karriere bedeutet also neben den ganzen tollen Momenten auch viel Verzicht und Disziplin. Beim Übergang in den Beruf ist nicht zuletzt auch ein sehr verständnisvoller und im Idealfall sportbegeisterter Chef hilfreich. Hier habe ich immer großes Glück gehabt!