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Fotocredits: Worldsportpics

Herren-Bundestrainer André Henning

„Unser Anspruch ist, dass wir im Januar unser Top-Hockey zeigen, egal ob in Maskat oder Valencia. Wir wollen das Turnier dominieren und auch ein Zeichen setzen, dass mit uns in 2024 zu rechnen ist.“

27. October 2023

Zwei Monate nach den EuroHockey Championships 2023 in Mönchengladbach blicken unsere Bundestrainer auf das Hockey-Ereignis des Jahres zurück. Sie bewerten das sportliche Geschehen, erzählen, wie das Turnier auf sie gewirkt hat und was in den kommenden Monaten bis zur Olympia-Qualifikation noch passieren wird.

Die Heim-EM liegt jetzt eine Zeit zurück. Wie ist Dein Blick mit etwas Abstand auf die Veranstaltung?
Fangen wir mit dem uneingeschränkt positiven Teil ein. Der Verband hat ein fantastisches Event organisiert, die Fans haben für gute Stimmung gesorgt. Also das Drumherum war titelreif. Das sportliche Abschneiden zeigt mit dem Aus im Halbfinale, dass wir nicht da gelandet sind, wo wir hin wollten - auch wenn wir denkbar knapp im Penalty-Shootout gescheitert sind. Wir haben es in dem halben Jahr nach dem WM-Titel nicht immer geschafft, den Funken komplett überspringen zu lassen. Diese eher mentale Komponente ist nachvollziehbar. Ein Großteil der Mannschaft ist einem großen Titel zehn Jahre lang hinterhergelaufen, eigentlich das ganze Leben. Da ist eine kleine Delle danach nicht unüblich. Und trotzdem hatten wir im Turnier richtig starke Momente. Den späteren  Europameister Niederlande haben wir mit 3:0 besiegt. Frankreich haben wir unter großem Druck  vor allem in der zweiten Halbzeit dominiert  und viel zu niedrig 4:1 gewonnen. Und auch im Halbfinale gegen England sind wir aus unserer Sicht die etwas bessere Mannschaft. Wir schießen ein klares Tor, das vom Video-Schiedsrichter zurückgenommen wurde. Das sehen wir zumindest kritisch und gehen  davon aus, dass eine 1:0-Führung eine sehr hohe Sieg-Chance bedeutet hätte. Aber: Mit dem schwachen Auftakt gegen Wales und dem enttäuschenden Auftritt im Spiel um Platz 3 gegen Belgien haben wir ein Bild von uns gezeichnet, das uns  nicht repräsentiert. Ich habe aber den Eindruck, dass die Kurve gerade wieder recht steil nach oben geht.

Sportlich wurde das Abschneiden im Nachgang als Enttäuschung bezeichnet. Gehst Du da mit?
Wir kommen als amtierender Weltmeister zu einer Heim-EM. Da erscheint in der Außenwahrnehmung natürlich alles andere als ein Titelgewinn per se enttäuschend. Es war interessant zu beobachten, wie vor der WM keiner - außer wir selbst - auf uns gesetzt hat und ein halbes Jahr später eine ganz neue Erwartungshaltung da war . Als Trainer sehe ich natürlich mehr Grautöne. Im Welthockey, und das prägen die europäischen Teams entscheidend mit, sind sechs Teams nahezu auf Augenhöhe und es kann  jederzeit jeder jeden schlagen. Somit war vor der EM auch klar, dass Kleinigkeiten entscheiden, ob du Fünfter wirst oder eben Europameister. So war es bei der Weltmeisterschaft auch. Das sind vermeintliche Kleinigkeiten, wie der Ausfall von Malte Hellwig in Spiel drei. Uns fehlte ein starker Stürmer und ein Halbfinale in einem derart engen Turnier mit einem Mann weniger anzugehen war auch kein Vorteil. Noch mal: Das erste und letzte Spiel des Turniers waren weit unter unserer eigenen Erwartungshaltung und der Schluss prägt  den Gesamteindruck. Gleichzeitig spielen wir im Halbfinale richtig gut. Wir lassen defensiv fast nichts zu, schießen ein vermeintliches Tor, haben eine Riesen-Chance kurz vor Schluss und sind dem Einzug ins Finale sehr nahe. Kommen wir ins Endspiel, werden wir  dafür gefeiert, dass wir dank starker Defensiv-Leistung in zwei große Finals innerhalb von lediglich sieben Monaten einziehen. Zur Bewertung  gehört aber auch, dass wir offensiv unsere Qualitäten bei der EM nicht entfaltet haben. Daran arbeiten wir.

Fotocredits: Worldsportpics

Wie hat das Team, haben die Spieler auf den 4. Platz reagiert?
Wahnsinnig enttäuscht und selbstkritisch. Wir wollten natürlich den vielen Fans im Stadion und an den Streams mehr Erfolg und mehr Entertainment bieten. Ich habe den Eindruck, es war gut, dass wir nach dem Event erstmal eine Nationalmannschaft-Pause hatten. So konnten die Energie-Speicher in den Beinen und im Kopf wieder aufgeladen werden. Und wir hatten etwas Abstand für eine kritische Analyse.

Welche Gründe habt ihr in der Analyse des Turniers für das Abschneiden gefunden?
Die Komplexität so einer Performance ist natürlich riesig, aber wir haben versucht, es so simpel und klar wie möglich zu analysieren. Ein großer Teil unserer Qualität kommt aus unserer Verbindung untereinander, die entsteht natürlich auf und neben dem Platz. Vor der WM hatten wir deutlich mehr gemeinsame Zeit miteinander. Das hat sich in der Eingespieltheit und damit vor allem in der Abstimmung mit Ball auf dem Platz gezeigt. Die starken Verbindungen haben   für eine hohe Resilienz und Agilität gesorgt, die uns geholfen haben, Rückstände in kurzer Zeit zu drehen oder innerhalb des Turniers auf Entwicklungen möglichst schnell einzugehen, sie zu besprechen und im nächsten Spiel umzusetzen. Die Zeit zur EM war dann deutlich kürzer, wir mussten in ein paar Feldern zu krasse Abstriche und Kompromisse machen - wahrscheinlich auch an falscher Stelle. Ein EM-Titel wäre trotzdem drin gewesen, aber mit der Qualität und Intensität der Vorbereitung steigern wir eben die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg. Das ist entsprechend Lehre und Auftrag für die kommenden Monate.

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Der Blick geht jetzt auch nach vorne. Im Januar steht der Olympic Qualifier an. Wie sind die Planungen bis dahin, um das Team auf das Turnier vorzubereiten?
Wir hatten schon ein erstes Mini-Camp. Das ist ein Kurz-Lehrgang während der Bundesliga-Saison. Unsere Konkurrenz macht das jede Woche, wir schaffen das aus verschiedenen Gründen zwischen August und November nun immerhin einmal - das verdeutlicht die angesprochene Diskrepanz der gemeinsamen Zeit. Das soll kein Meckern, sondern nur die Beschreibung des Status quo sein. Ich bin dankbar, dass wir diese Möglichkeit jetzt haben, denn da steckt viel Unterstützung der Hockeyliga sowie der Clubs dahinter, dass wir diese Brücke schlagen können - und das tut uns sehr gut. Die Trainingseinheiten haben das  Tempo und das Thema Verbindung auf und neben dem Platz geschärft. Aufgrund der sehr hohen Belastung in den vergangenen Wochen haben wir diesmal weniger Hockey trainiert, um den Wünschen der Clubs Rechnung zu tragen. Das haben wir genutzt, um Workshop-Elemente einzubauen, die uns dabei halfen, uns Richtung Qualifier und bestenfalls Richtung Paris auszurichten. Es gab Feedbacks und vor allem Feedforwards sowie die Möglichkeit, unsere Prozesse zu vertiefen. Im November startet die heiße Phase mit einem Lehrgang in Südafrika und es geht im Dezember mit einem Turnier in Spanien weiter.

Das Ziel ist klar, die Gegner noch nicht final. Es steht auch noch nicht offiziell fest, wo ihr den Qualifier spielt. Wie geht ihr damit um?
Wir rechnen uns mit recht hoher Wahrscheinlichkeit aus, dass wir in Oman spielen werden, dasselbe gilt für mögliche Gegner. In unserer Gruppe könnten mit Großbritannien und Neuseeland durchaus zwei Kontrahenten aus der Pro League auf uns warten. Aber final werden wir das in der Tat erst im November erfahren. Das macht uns keine Probleme. Unser  Anspruch ist, dass wir im Januar unser Top-Hockey zeigen, egal ob in Maskat oder Valencia. Wir wollen die Turniere dominieren und ein Zeichen setzen, dass mit uns in 2024 zu rechnen ist.

Welche taktischen Veränderungen/Entwicklungen hast Du bei der EM wahrgenommen und was erwartest du im Olympia-Jahr?
Wir hatten zur WM viel an unserer Raumdeckung auch im eigenen Viertel gearbeitet. Es war interessant zu sehen, dass einige Nationen das nach der WM kopiert haben, gerade weil wir bei langen Ecken im Raum insgesamt deutlich weniger zugelassen haben als zuvor in der Manndeckung. Ich habe das Gefühl, dass bei den meisten Teams das grundsätzliche Setting steht, aber wir sind natürlich gespannt, wer zu diesem Zeitpunkt kurz vor Olympia noch etwas ausprobiert. Wir werden auch intensiv weiterarbeiten, strukturell mag das deutsche Hockey stets die schwierigeren Bedingungen haben. Dafür sind wir offen für Innovationen und werden die Intelligenz der gesamten Mannschaft nutzen, um uns taktisch einen kleinen Vorteil zu erarbeiten.

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